Ich schreib einfach mal hier rein, weil ich gerade nicht weiß, wohin sonst:
Ich hab das Spiel jetzt durch und bin enttäuscht.
Klar, da sind erstmal die tausend Bugs. Bei mir lief zwar alles ohne Ruckler und Game-Breaking Bugs (PC), aber dieses Spiel hätte 2020 nicht erscheinen dürfen. Punkt. Hier fehlt mindestens ein halbes Jahr Entwicklungsarbeit und mir tut wirklich jeder leid, der dieses Spiel auf PS4/XboxOne spielen wollte und jetzt 15 FPS in Shootouts hat. Das geht halt gar nicht. Und auch sonst lässt die Welt ganz schön Federn: Fußgänger-, Polizei-, Auto-AI - alles kaputt. Alles im frühen Beta-Stadium. Sie hätten das Spiel einfach vom September auf den April 2021 legen sollen, dann wäre das alles noch gefixt worden.
Aber das ist nicht der wirkliche Grund, warum ich enttäuscht bin. Ich finde Cyberpunk erschreckend oberflächlich. Das fängt mit der Welt an: Night City ist wunderschön, aber eigentlich nur eine Fassade. Hübsche Game-Architektur ohne Substanz. Night City offenbart sich am besten im Vorbeifahren. Da kann man die Gebäude bestaunen, atemlos durch die Badlands fahren oder durch Nebelschwaden im Industriegebiet cruisen. Aber eine Stadt ist nun mal mehr als seine Stadtteile und dementsprechend fangen die Probleme an, wenn man aus dem Auto steigt. Du kannst mit niemandem wirklich interagieren. Alle NPCs wirken wie seltsame Statisten, die fünf vor 12 da noch reingeklöppelt wurden. Es gibt Wurstbuden, an denen ich keine Wurst kaufen kann, Bars, an denen ich Getränke nur durch das Inventar-Menü bestellen kann und so gut wie keinen Fluff - fehlendes World-Building-Gedöns à la Spielhallen, in denen man auch eine Arcade-Maschine bedienen kann. Das hier ist eine Open World, die mich stark an die aus Mafia 1 erinnert - und das ist ein zwanzig Jahre altes Spiel.
Die große Oberflächlichkeit betrifft aber auch das fehlende Rollenspiel. Für meine Begriffe handelt es sich hier um ein cooles Action-Adventure. Die Story läuft gut durch wie der erste Morgenkaffee durch die Melitta-Filtertüte, aber lässt dann doch Substanz vermissen.
Die große Quest, mit der das Spiel beworben wurde („Stiehl den Roboter, egal wie. Und auf dem Weg dahin gibt es sechs Möglichkeiten das zu tun“) ist in ihrer Komplexität die einzige ihrer Art. Jede andere Mission spielt sich deutlich linearer - wirklich abgefahrene Lösungsansätze kann man nicht ausprobieren. Cyberpunk 2077 nimmt mich als Spieler immer wieder an der Hand, um mir die Geschichte zu erzählen, die es erzählen will, nicht die, die ich vielleicht jetzt hören will. Das funktioniert manchmal fantastisch. Ich bin zum Beispiel riesiger Fan der Nebenfigur Panam, für die ich inzwischen alles tun würde. Aber es erreicht einfach nicht die Tiefe, die ein The Witcher 3 noch erreicht hat.
Ich hab’s jetzt durchgespielt und weiß gerade gar nicht, ob ich jetzt noch mal einen zweiten Durchlauf bräuchte. Denn das „Rollenspiel“ in Cyberpunk steckt eigentlich nur im Kampfsystem. Und ob ich das Ganze jetzt noch mal nur mit Katana durchspielen will statt mit Hacking - i don’t know.
Auch unsere Hauptfigur V fand ich ausgesprochen nichtssagend und in seiner Erzählung bevormundend. Denn CD Projekt Red will die ganze Zeit, dass V ein Söldner bzw. Söldnerin ist, der/die es ganz nach oben schaffen will. Zu den Legenden von Night City gehören will. Nur fragt mich da als Spieler niemand. Ich will das gar nicht! Ich wil eine Feuchtigkeits-Farm mit Panam in den Badlands gründen! Ich will einen Konzern übernehmen! Ich will ein politisches Komplott anstoßen! Ich hab kein Bock, diese miese kleine Type zu sein, die jedem, der nicht bei drei auf dem Baum ist, ins Gesicht schießt. Hier hat man meiner Meinung nach die falschen Lehren aus The Witcher 3 gezogen. Dort spiele ich eine stark definierte Persönlichkeit - die vermeintlich immersivere Ego-Perspektive führt dazu, dass ich V so spielen will, wie ich es für richtig halte. Das Spiel tut aber so, als wäre mir vollkommen klar, dass V ein fest definierter Geralt-von-Riva-mäßiger Charakter ist.
Ich bin einfach neidisch auf ein entferntes Parallel-Universum. Ein Parallel-Universum, in dem die Mitarbeiter:innen von CD Projekt Red nicht geknechtet wurden, um dieses Spiel noch huschhusch fertig zu machen. Ein Universum, in dem die Geschäftsleitung Ende 2019 schon erkennt: Oh, das wird nix - und einen Release im Jahr 2021 anpeilt. Denn hätte man hier noch ein bisschen mehr Zeit in Quests und Welt investiert, dann wär das ein wirklich tolles Spiel. Ich hab meine 35 Stunden sehr gern damit verbracht, besonders die Nebenquests, die eher wie kleine Mini-Novellen sind, sind sehr toll. Aber all das wird zu keinem stimmigen Gesamtpaket geschnürt. Meine Hoffnung: Sie lernen draus - so wie das erste Assassin’s Creed auch große Grütze war, aber das Fundament für weitere Serienteile gelegt hat. Ich hoffe deshalb einfach mal auf die DLCs. Und die, liebes CD Projekt Red, macht ihr dann bitte umsonst. Das seid ihr nach diesem Desaster Millionen Spieler:innen auf Xbox und PS4 schuldig.
Wertung in Altis Spielebude: 85 (Aufwertung um einen Punkt wegen Panam) 